PLÖTZLICH VERSCHWUNDEN (Teil 1)

Die schwersten Stunden im Leben eines Dampfers
und wie er der Versuchung des Rauchens widerstand

Dies ist die Geschichte von Paul und Marie aus einer Kleinstadt in Baden-Württemberg. Es ist keine Dampfer-Geschichte, es ist die Schicksals-Geschichte eines Dampfers und seiner Frau. Zwei normale Menschen, wie wir alle. Die Geschichte ist real. Paul und Marie heißen eigentlich anders, die Namen wurden verändert.

Von PAUL

I.

Kaltes Sonnenlicht flutete das kleine Wohnzimmer an diesem 14. März. Ein Sonntagvormittag, es war still im Haus. Paul saß auf dem hellblauen Velours-Sofa, den Blick auf sein Tablet. Neben ihm Sina, eine Main-Coon-Katzendame. Sie döste, er spürte ihre Wärme an seinem Oberschenkel. Paul las die neuen Beiträge in einem Forum über Linux, dem freien Betriebssystem für Computer. Linux war sein Hobby, seit fünf Jahren schon, aber ganz besonders, seit er im Januar arbeitslos geworden war.

44 Jahre hatte Paul bereits in der Arbeitswelt sein Bestes gegeben. Erst die Ausbildung zum Bäcker, später viele Jahre Einzelhandel, Gastronomie, Logistik … bis der Rücken nicht mehr wollte. Mehrere Operationen folgten, das nagte auch an der Psyche. Dann acht Monate Krankschreibung, die zweite in einem Jahr, und schließlich Kündigung. Auf dem Tisch lag ein kleiner Stapel mit acht neuen Bewerbungen, er hatte sie gestern Abend geschrieben, nach dem Mittag würde er sie zum Briefkasten bringen. Und wieder würde er nie wieder etwas von den Adressaten hören. Inzwischen war er 60, was erwartete er noch?

Paul hörte die Badezimmertür. Langsam und wie immer ein wenig wankend bewegte sich Marie durch den Raum. Ihre beiden Hüftoperationen hatten das nicht ändern können. Außerdem litt sie an diesen Muskelschmerzen, von denen niemand sagen konnte, woher sie rührten. In den Knien, den Schultern, manchmal in den Ellenbogen. Fibromyalgie nannten die Ärzte das. Anfang des Jahres war auch sie krankgeschrieben gewesen, fünf Wochen. Als sie wieder zur Arbeit kam, hatte der Personalchef zu einem Gespräch gebeten, einem „Peronalrückführungsgespräch“. Seit dem Gespräch war sie noch trauriger. Wenigstens hatte sie ihren Job behalten.

Marie legte ein Wochenblatt in den Zeitungshalter, dann ging sie zur Balkontür, zog die Gardine beiseite. Eine Minute lang blickte sie auf die Straße hinab, wo sich nichts regte. Paul betrachtete sie still von hinten. Eine kleine, schmale Frau. Sie stand da in ihrer beigefarbenen Jogginghose, einem dünnen Oberteil, das Haar ordentlich frisiert. Dann drehte sie sich wieder um, lächelte ihn an, ging vorbei. Es war ein seltsam verlorenes Lächeln, das Paul jetzt schon so oft bei seiner Frau gesehen hatte. Und jedes Mal gab es ihm ein Stich ins Herz. Marie, was kann ich denn bloß tun …

Verloren irrte Marie durch die Wohnung. Es war eine nicht greifbare Traurigkeit in ihr. Das war doch nicht immer so gewesen, dachte Paul. Als sie geheiratet hatten, kurz nach der Jahrtausendwende, war Marie fröhlich gewesen, voller Optimismus, voller Liebe für alle schönen Dinge dieser Welt – besonders für ihre sechs Katzen. Zwanzig Jahre, dachte Paul. Was hat die Zeit aus uns gemacht? Heute war nur Sina noch übrig. Marie litt unter Depressionen.

Paul hörte ihre Schritte, Marie schlurfte in die Küche. Sie würde wohl schon das Essen vorbereiten. Es war kurz vor zehn. Paul wandte sich noch einmal kurz seinen Linux-News zu, dann schob er vorsichtig die Katze beiseite, griff er nach seiner Geekvape Legend 2 mit dem Vapor Giant, seinem Lieblingsverdampfer, und stand auf. Er zog seine Jacke über und ging zum Balkon. Das kleine runde Thermometer außen an Tür zeigte zwei Grad, und als er die Tür öffnete, zog ihm ein eisiger Hauch ins Gesicht.

Während er hinaus ging, nahm er hinter sich beiläufig ein leises Klirren wahr. Ein Geräusch, wie es entsteht, wenn man einen Schlüsselbund in die Hand nimmt. Ein paar Sekunden später hörte Paul ein gedämpftes „Klack“. Marie hatte die Wohnungstür ins Schloss gezogen. Sie wird nach der Post sehen, ging es Paul kurz durch den Kopf. Ihm fiel in diesem Moment nicht ein, dass Sonntag war, dass Briefträger sonntags nicht ausliefern.

Er müsste zum Dampfen nicht rausgehen, wie damals, als Raucher, das war ihm bewusst. Dampf stinkt nicht, wenngleich sein DTL-Gerät schon recht dichte Wolken produzierte. Dennoch ging er immer raus, es war eine Angewohnheit, die er beibehalten hatte, seit er vor vier Jahren umgestiegen war. Endlich weg von den Zigaretten, nach rund fast vier Jahrzehnten des Rauchens! Endlich hatte es geklappt – wenn auch am Anfang noch mit ein paar Schwierigkeiten. Aber wie verzweifelt waren zuvor seine Bemühungen gewesen, das Rauchen aufzugeben: Immer wieder hatte er einen neuen Versuch unternommen, immer wieder war er gescheitert. Das Verlangen nach dem Tabak schlummerte tief, es ließ sich nicht leicht besiegen. Nach jedem Rauchstopp zeigte es sich zunächst zahm, ein paar Tage, manchmal Wochen, um sich dann wie ein feixender böser Dämon in seinem Kopf aufzubäumen: Rauch doch! Glaub mir, kannst gar nicht anders!

Bis ihm irgendwann klar wurde, dass er daran sterben würde. Bis er den letzten Kampf aufnahm, mit diesem Wundermittel, wie er es damals empfand, als er das Dampfen für sich entdeckte, das er immer wieder ausprobierte – und dann diese letzte Schlacht gewann. Es ist merkwürdig, dachte Paul. Seit vier Jahren ist mein Interesse an Zigaretten tatsächlich erloschen.

Er nahm einen tiefen Zug aus dem Vapor Giant und blies den Dampf in den Himmel. Eine riesige weiße Wolke schwebte langsam in die Höhe. Ein zweiter tiefer Zug; diesmal blies er den Dampf nach unten. Sein Blick fiel auf die Garageneinfahrt. Er sah, wie sich das Tor öffnete, hörte den Motor. Dann rollte der kleine blaue BMW rückwärts heraus. Das Auto von Marie und ihm.

Irritiert blickte Paul vom Balkon. Was ist denn jetzt los? Wo fährt sie hin? Sie hat doch gar nichts gesagt! Er versuchte sich zu beruhigen: Sicher besucht sie noch schnell ihren Vater im Pflegeheim, das macht sie ja schon seit acht Jahren regelmäßig. Im selben Moment verwarf er den Gedanken wieder, auch das hatte sie ihm immer gesagt. Außerdem: An einem Sonntag um zehn, vor dem Mittagessen …

Paul fröstelte, er ging wieder zurück ins Wohnzimmer, er schloss die Tür. Ratlos stand er im Raum. Er verstand das nicht, wohin wollte Marie so plötzlich, ohne eine Erklärung? Als er seine Jacke auszog, fiel sein Blick auf den Wohnzimmertisch. Da lagen die beiden Handys von Marie. Das ältere mit dem großen Display und das kleine, das sie sich gerade erst gekauft hatte, für unterwegs, weil es besser einzustecken war. Paul wurde unruhig, noch nie hatte Marie ohne eines der beiden Geräte die Wohnung verlassen. Was hatte das zu bedeuten?

Er ging wieder auf den Balkon, sog nervös an seiner Dampfe und ging gleich wieder rein: Was war mit den anderen Dingen, was hatte sie mitgenommen? Er ging geradewegs in die Küche zu jener Schublade, wo Marie stets ihr großes Portemonnaie verwahrte mit allem, was man so darin hat – Krankenkassenkarte, Geldkarte, Personalausweis, Kfz-Schein. Das Portemonnaie lag unberührt in der Lade. Hatte sie es nur vergessen? Auch das war noch nicht vorgekommen. Ein unangenehmes Gefühl überkam ihn. Was war bloß los?

Paul wartete, dachte nach, es ergab keinen Sinn. Er rief im Pflegeheim an. „Nein, Ihre Frau ist nicht hier gewesen“, sagte die Frau in der Leitung. Paul telefonierte weiter. Er rief Verwandte, Freunde, Bekannte an. Jedes Mal wartete er auf den erlösenden Satz: „Ja, Marie ist hier bei mir, es geht ihr gut.“ Niemand sagte den Satz. Stattdessen Verwunderung: „Was ist denn passiert? Ist bei euch etwas vorgefallen?“ Paul wusste nicht, was er sagen sollte. „Sie ist gegen 10 Uhr einfach verschwunden. Sie hat mir gar nichts gesagt! Ich verstehe das auch nicht.“ Paul legte auf. Was war denn nur los? Was sollte er tun?

Ihm war übel, in seinem Kopf drehte sich alles. Und dann war er urplötzlich wieder da – der Tabak-Dämon aus seiner Vergangenheit. Die übermächtige Lust, eine Zigarette zu rauchen. Paul erschrak. Woher kam das denn jetzt? Er hätte nie geglaubt, dass dieses Verlangen zurückkehren könnte, nach vier Jahren.

Er spürte plötzlich wieder dieses Verlangen, wie damals, wenn er am Morgen aufgestanden war, das Verlangen nach würzigem, vollem Rauch, das Brennen in den Bronchien und dann, wenige Sekunden später, diese angenehme Explosion im Hirn, dieses Wohlgefühl, verbunden mit dieser leichten Benommenheit, die nur die erste Zigarette am Tag bietet, das Kribbeln im Kopf, manchmal bis in die Fingerspitzen. Das war Rauch, das war stark, das – konnte helfen? Er müsste nur runtergehen und bis zur Tankstelle an der übernächsten Ecke …

Nein, tu es nicht! schrie eine Stimme in ihm. Paul wusste, wenn er das jetzt täte, wenn er jetzt wieder rauchte, wären alle seine Bemühungen, endlich von dieser zerstörerischen Sucht loszukommen, umsonst gewesen. Er dachte an die chronische Bronchitis, die ihn jahrelang begleitet hatte und die erst verschwand, als er aufs Dampfen umstiegen war. Er nahm sein Dampfgerät, ging wieder auf den Balkon.

Paul wartete.

Ratlos. Rastlos. Hilflos.

14 Uhr. Seit vier Stunden war Marie nun verschwunden. Paul hielt es nicht mehr aus, er rief bei der Polizei an. Am anderen Ende der Leitung war eine Frau mit ruhiger Stimme. Paul versuchte, seine Emotionen zu kontrollieren, es gelang im nicht. „Sie ist seit über vier Stunden weg! Das gab es noch nie, sie hat mir sonst immer gesagt, wohin sie geht. Sie braucht doch auch ihre Medikamente, sie leidet unter Depressionen. Bitte, helfen Sie mir doch, Sie müssen sie suchen!“

Die freundliche Polizistin hörte ihn an. Ihre Stimme klang jung und mitfühlend, als sie sagte: „Hören Sie, Ihre Frau ist erwachsen. Sie kann selbst entscheiden. Es sind erst vier Stunden, wahrscheinlich taucht sie bald wieder auf, das ist alles schon vorgekommen. Deshalb kann die Polizei erst nach 24 Stunden tätig werden, wenn jemand als vermisst gemeldet wird.“

Paul verstand die Welt nicht mehr: 24 Stunden lang sollte er herumsitzen und warten, während niemand ihm helfen wollte? Den ganzen Nachmittag und dann die ganze Nacht? Er versuchte es noch einmal: „Bitte, helfen Sie! Meine Frau ist krank, sie nimmt Medikamente! Ihr kann doch alles Möglich zustoßen.“ In der Stimme der Polizistin schwang Mitleid, doch die Worte ließen Paul verzweifeln: „Es tut mir wirklich leid. Im Moment können wir nichts tun.“

Paul fühlte sich ohnmächtig. Was sollte er unternehmen? Wo soll er suchen? Vielleicht an den Plätzen, wo sie zu zweit öfter spazieren oder mit dem Rad unterwegs gewesen waren? Aber wo sollte er beginnen? Paul hatte nur noch sein Fahrrad. Die Gedanken wichen neuer Hoffnungslosigkeit: Marie war dem Auto weggefahren. Er wusste nicht, was sie vorhatte. Sie konnte nun überall sein – zehn, zwanzig, fünfzig Kilometer entfernt. In jeder Richtung. Es hätte wenig Sinn, sie mit dem Rad zu suchen.

Inzwischen brach der Abend an. Paul ging es zusehends schlechter. Magenkrämpfe, Kopfschmerzen. An Essen war nicht zu denken. Er machte sich einen Tee, kaute lustlos ein paar Salz-Cracker. Und alle paar Minuten ging er zum Dampfen auf den Balkon. Den Verdampfer füllte er nun schon zum dritten Mal mit Liquid; so viel hatte er sonst nie gedampft. Aber es war allemal besser als zu rauchen. Wenngleich … jetzt eine Zigarette … Der Tabak-Dämon saß auf seiner Schulter, er grinste und wartete.

Mit Einbruch der Dunkelheit sanken auch die Temperaturen. Gegen 20 Uhr hatte es bereits minus 4 Grad. Wo ist Marie? Vor seinem geistigen Auge sah er das liebe, charmante Gesicht seiner Frau. Oh mein Gott, wo ist meine Marie? Was ist ihr zugestoßen? Aus der Angst entwickelte sich langsam Panik. Die Stille in der Wohnung erdrückte ihn. Wieder und wieder ging Paul auf den Balkon. Dann erinnerte er sich, dass es Zeit wäre, die Katze zu füttern. Er löffelte das Dosenfutter in den kleinen Napf, doch Sina, die ihn sonst um diese Zeit mit Maunzen ans Füttern erinnert hatte, beachtete es gar nicht. Unruhig strich sie um seine Beine. Sie spürte, das etwas nicht stimmte. Pauls Angst und Sorge hatten sich auch auf sie übertragen.

Paul konnte nichts tun. Nur warten, warten … und hoffen. Immer wieder telefonierte er mit den Menschen, die ihm und Marie am vertrautesten waren. Es gab nichts Neues.

II.

Spontan verließ Paul die Wohnung. Ich muss sie suchen, dachte er, aber wo? Und zu Fuß? Das Auto hatte Marie. Eine Sekunde lang dachte Paul daran, jemanden zu bitten, ihn zu fahren. Aber wohin denn? Abseits der Wohnstraßen gab es noch zahllose Feldwege, einige endeten am Wald, andere führten tief hinein, verzweigten sich weiter. Paul lief hin und her, ziellos, wirre Gedanken durchzogen seinen Kopf.

Nach über einer Stunde brach er die Suche ab, lief nach Hause zurück. Es hatte keinen Sinn. Er konnte nichts tun, er musste versuchen, sich abzulenken. Paul schaltete den Fernseher ein. Irgendwelche Bilder flackerten, er schaltete um, er konnte sich nicht konzentrieren, auf nichts. Er schaltete das Gerät wieder aus. Gegen 22 Uhr legte er sich aufs Sofa, neben sich Festnetztelefon und Handy. Falls ein Anruf käme … vielleicht rief Marie sogar an. Marie! Wo mochte sie sein? Das Außenthermometer am Balkon zeigte mittlerweile minus 6 Grad.

Paul war unruhig, er beschloss ins Bett zu gehen. Sina sprang, wie immer, ans Fußende. Er schaltete das Licht aus, aber er konnte nicht schlafen. Die Kopfschmerzen waren schlimmer geworden, er spürte das Blut in den Schläfen pochen. Paul stand auf, maß seinen Blutdruck, 170 zu 110. Zu hoch, wie fast immer. Trotz Normalgewicht und vernünftiger Ernährung. Er nahm noch eine Blutdrucktablette. Wieder hinlegen. Die Unruhe hatte sich übertragen, Sina sprang vom Bett und wanderte durch die Wohnung. Das macht sie sonst auch nie, dachte Paul.

Draußen war es noch dunkel, als Paul und Sina gegen 5 Uhr wieder aufstanden. Ob die Katze geschlafen hatte? Er jedenfalls nicht, er fühlte sich wie gerädert. Es war die schlimmste Nacht seines Lebens. Er machte sich einen Kaffee und füllte Sina erneut den Napf.

„Jetzt hol’ dir endlich Zigaretten“, lockte der Tabak-Dämon. Los! Du brauchst das jetzt, ist doch alles egal!

„Tu es nicht – das hilft dir nicht!“ warnte seine innere Stimme. Paul stellte sich vor, den würzigen starken Tabakrauch zu inhalieren, das Prickeln zu spüren, die Wirkung, wie es ihm dann besser gehen würde … und verdrängte den Gedanken aus dem Kopf: Nein, das durfte nicht passieren! Niemals! Seiner selbst willen nicht – aber vor allem nicht wegen Marie. Sie war so glücklich gewesen damals, als er ihr stolz verkünden konnte: Ich hab es geschafft! Keine Zigarette mehr! Ich brauche das gar nicht! Sie hatte ihn umarmt, geküsst, sich so gefreut.

Dampfen, Dampfen, Dampfen. Das half, das musste helfen gegen das Verlangen nach Zigaretten. Gegen halb acht rief er erneut bei der Polizei an. „Meine Frau ist immer noch nicht da. Sie müssen mir helfen!“ Diesmal war ein Mann am Telefon, der alles aufnahm. „Wir schicken einen Wagen bei Ihnen vorbei. Es wird etwa eine Stunde dauern.“

Paul goss sich noch einen Kaffee in den Becker, füllte Liquid in den Verdampfer, diesmal einen Steam Crave Aromamizer, und inhalierte. Das Verlangen nach einer Zigarette war ungebrochen. Er überlegte: Er war bei nur noch 2 Milligramm Nikotin im Liquid, war das zu wenig? Ich brauche mehr, dachte er. Aber in der DTL-Dampfe liegt meine Grenze bei 4 Milligramm. Er erinnerte sich: Im Schrank lagen noch ein paar alte MTL-Geräte, damit würde es besser gehen, ein paar Nikotinshots habe ich auch noch liegen. Er holte einen alten MTL-Verdampfer aus dem Schrank, einen Siren 2, Draht und Watte.

Zuerst öffnete er das Liquid-Fläschchen und füllte es mit Nikotin-Shot auf. Von zwei auf 5 Milligramm pro Milliliter, hoffentlich war das genug. Das Wickeln des MTL-Verdampfers dauerte etwas. Paul brauchte vier Anläufe, er war so nervös, dass er zuerst nicht den Draht in die Pfosten bekam. Dann war der Wattestrang zu dick, sodass die Wendel verbog, dann war er zu dünn. Endlich konnte er die Watte beträufeln, fertig.

15 Minuten später klingelte es an der Haustür, zwei Uniformierte standen vor ihm, wiesen sich kurz aus. „Herr S.? Wir kommen wegen ihrer Frau.“

„Okay, kommen Sie bitte rein.“

Während einer der Beamten mit Paul im Wohnzimmer Platz nahm und Fragen stellte, sah sich der andere in der Wohnung um. Plötzlich ein Ruf aus der Küche: „Herr S., bitte kommen Sie doch mal.“ Paul stand auf. „Sie wissen, dass in Ihrem Messerblock ein Messer fehlt?“

Paul wurde blass. „Nein, das weiß ich nicht. Wir nutzen die Messer eher selten.“

Es war das lange Gemüsemesser mit 18 Zentimeter Klingenlänge, das fehlte.

„Schauen sie bitte nach, vielleicht liegt es noch in der Spülmaschine oder in einer anderen Schublade“, sagte der Polizist. Paul öffnete die Spülmaschine, zog alle Schubladen auf – das Messer war verschwunden.

Paul spürte das Blut durch seinen Kopf rasen, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Marie schwebte in höchster Gefahr! Lebt sie noch? Liegt sie irgendwo, blutend und hilflos? Paul lief in der Wohnung hin und her, fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, er war mit den Nerven am Ende.

„Wir müssen die Wohnung genauer inspizieren“, sagte einer der Beamten. Paul nickte. Nach und nach schauten sie sich jedes Zimmer an, öffneten jeden Schrank. Einem der Beamten fiel die Dachbodenluke auf. „Was ist da oben?“

„Der Dachboden … da sind eben die Sachen, die die man auf Dachböden eben so lagert.“

„Herr S., da müssten wir jetzt auch noch nachschauen. Verstehen sie das bitte.“

„Na klar.“ Paul nickte wieder, holte den Haken für die Dachbodenluke und öffnete sie. Einer der Beamten stieg mit einer Taschenlampe hinauf. Nach wenigen Minuten kam er zurück. Paul schloss die Luke wieder. „Wir haben schon die unmöglichsten Dinge erlebt“, erklärte der Beamte entschuldigend. Paul verstand nicht. Was sollte das heißen, was hatten sie erwartet?

Die Polizisten verabschiedeten sich. „Bitte nicht wundern, die Kollegen von der Kriminalpolizei kommen nachher auch noch mal bei ihnen vorbei.“

Eine Stunde später war die Kripo bei Paul. Alles auf Anfang, noch einmal haarklein über das Verschwinden berichten – und hundert weitere Fragen: Was ist in den Tagen zuvor passiert? Gab es irgendwelche Hinweise von Ihrer Frau, dass sie verschwindet? Welches Auto fahren Sie? Farbe? Hat der Wagen Auffälligkeiten? Wie war Ihre Frau bekleidet? Hatte sie Medikamente dabei? Alkohol? Wann war sie das letzte Mal an ihrem Arbeitsplatz? Gab es dort einen Zwischenfall? Paul fühlte sich verloren, ihm war schlecht, alles drehte sich. Nie, nie hatte er eine solche Situation erlebt.

„Herr S.“, sprach ihn dann einer der Kriminalisten ruhig und ernst an, „wir haben vorsorglich bei unserer Flugstaffel einen Hubschrauber angefordert.“ Nun war es vorbei, Paul konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Er schlug die Hände vors Gesicht und versuchte, das Schluchzen zu unterdrücken. Die Beamten hielten für einen Moment mit ihren Fragen inne, damit er sich fangen konnte.

Zehn Minuten später hörte Paul das pulsierende Dröhnen eines Hubschrauber-Rotors über dem Haus. „Sehen Sie, Herr S., er ist schon da“, sagte der Beamte, es sollte tröstend klingen. Paul hatte Hubschrauber immer geliebt. Er war fasziniert von diesen wendigen Fluggeräten, die fast überall landen konnten, liebte auch das Geräusch – doch jetzt hatte es etwas Bedrohliches. Dieser Hubschrauber suchte seine Marie. Weil sie in höchster Gefahr war – oder weil sie vielleicht schon …

Mein Gott, dachte Paul, werden sie Marie finden und vor allem wo? Lebt sie noch?

„Wir haben noch ein paar Fragen zur Arbeitsstelle Ihrer Frau“, sagte der Polizist. „Sie erwähnten da etwas von einem Zwischenfall.“

Fortsetzung morgen

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